Miedya Mahmod: Hinter vorgehaltener Zunge schweigen wir oder Die Destinationale 

© Natalia Reich

Der erste Block ist Lyrik pur. Der zweite Text von Miedya Mahmod wirft den Heimathafen weit hinaus in die Welt.

Das Langgedicht Hinter vorgehaltener Zunge schweigen wir oder Die Destinationale von Miedya Mahmod hält sich nicht mit Kleinigkeiten auf. Sprechen und Schweigen stehen ebenso schon im Titel wie die »Destinationale«, in der die kommunistische »Internationale« als Hymne der Freiheit mit der »Destination«, einem Ziel, einem Wohin, zusammenläuft. Gleich die erste Strophe deutet an, was dieses Wohin sein kann:

Wenn es in deiner Hand läge. 
Eventuell, nur falls du eine zur Hand hast, würde ich dich, vielleicht, also, wenn es eh in 
deiner Hand läge, nach einer Heimat bitten. 

Da ist Mahmods zentrales Thema: die Heimat. Doch es ist kein Heimatfilm, der hier gedichtet wird, alles andere als das – es ist eine Bitte nach Heimat. Die Frage, was Heimat sein kann in einem Leben, das zwischen verschiedenen Orten, Sprachen und Welten schwebt, ist wohl eine der schwierigsten unserer Tage, in denen Millionen von Menschen auf der Flucht sind.

Das Ich des Gedichts bittet ein Du nach dieser Utopie, nach einem Ort, der immer unmöglicher erscheint, je mehr man sich an ihn herandenkt. So tastet sich das Sprechen des Ich taumelnd vorwärts, prescht voran, schreckt wieder zurück. In Zickzack-Bewegungen, die zwischen Deutsch, Kurdisch, Englisch und anderen Sprachen springen, entwickelt sich das Gedicht.

Der atemlose, höchst rhythmische Vortrag unterstützt die große Dringlichkeit, die den Versen innewohnt. Hinter vorgehaltener Zunge schweigen wir oder Die Destinationale prägt sich den Zuhörer:innen ein mit seinen großen Sprüngen, die doch immer am Thema bleiben. Heimweh, ohne eine Heimat zu haben, der Schmerz des ortlosen Geworfenseins in eine Welt, die sich unerbittlich und rücksichtslos um die Heimatlosen herum weiter dreht.

Die Verzweiflung des lyrischen Ichs wird immer greifbarer, je weiter das Gedicht fortschreitet. Und auch wenn es am Ende einen fast versöhnlichen Klang annimmt, muss es doch bei einem Wunsch bleiben, allen Heimatlosen einen Boden unter den Füßen zu geben, den sie Heimat nennen können:

Weißt du, kein Nest ist so heiß wie dieser Boden, den ich meine 
und kein Nest ist so zerbrechlich wie dieser Boden, den ich meine.
wenn es in meinen Händen läge, ich würde allen, die fragend diese Hände sähen, jener Boden werden. 

Ein Text, der nachhallt. Auch wenn es im Heimathafen gleich weitergehen muss.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.