Ymir oder: Aus der Hirnschale der Himmel (Romanauszug)
Erscheint als Hardcover und eBook März 2016 im homunculus verlag
Unter uns wachsen die steingrauen Hügelketten – oder schrumpfen wir ihnen entgegen? – während der Flugzeugrumpf in ein grauenhaftes Stöhnen ausbricht, das Jammern des stählernen Sünders über dem Fegefeuer. In wildem Auf und Ab wippen die Tragflächen wie Vogelflug, der Pilot ruft aus der Kanzel: »Festhalten!« Nur dieses eine Wort, aber es macht mir eine Heidenangst, dieses eine Wort. »Festhalten!«, als lösten sich die drei Handbreit Blech unter unseren Füßen auf, rissen alle Gurte und plötzlichen hängen wir über der riesigen und rasenden Leere und genau eine Sache bewahrt uns davor, aus dem Flugzeug zu stürzen und an den Steinhängen zu zerschellen: »Festhalten!« Die Hände um die Armlehnen gekrampft.
Festhalten!
Hilfesuchend blicke ich um mich: KleinHeinrich hat sein kantiges Gesicht seinem Schoß so nah wie möglich gebracht, sodass er trotz des stattlichen Körperbaus aussieht wie ein Fötus, während VonUndZu aufrecht sitzt, den schmalen Rücken in die Lehne gepresst, und mir mit glasigem Blick ins Gesicht starrt. Unmerklich baut sich eine Verbindung auf zwischen uns. Ich versuche ein aufmunterndes Lächeln. Es misslingt. Und –
Plötzlich!
Fallen wir ungebremst – was nützten da selbst zehn Handbreit (von denen wir nur drei haben)? Wir fallen, für eine kurze Sekunde. Allein mein Magen fällt weiter, ich fühle, wie die Distanz zwischen ihm und seiner angestammten Umgebung (meiner Bauchhöhle) stetig wächst. Das misslungene Lächeln hängt mir noch im Gesicht. Aus der Kanzel wieder ein einzelnes Wort: »Luftloch.« Nicht weiter schlimm also, das Hüpfen, das Flügelschlagen in eintausend Metern Höhe. Es sei denn, einem ist der Magen ausgekommen. Trudelt im freien Fall den knochigen Öden entgegen, die uns erwarten (weil es sich bei ihnen um unsere Bestimmung handelt), pendelt mit den Luftströmungen und Zack! – schlägt er auf und zerschellt – vereint sich gleichzeitig wieder mit meinem Körper und spuckt mein Frühstück aus.
Ekelhaft das! Welch ein Missgeschick!
Würde ich denken (und den anderen zu verstehen geben), wenn es darum ginge, mein Gesicht zu wahren. Tut es aber nicht.
Denn es geht – worum?
Genau: um mein nacktes Leben.