open poems 2015: Innenansichten moderner Nachwuchsautorenförderung

von Carla Hegerl

open poems, Tag 1 und da sitzen wir also, im Stuhlkreis: 15 Gesichter, die auch schon mal mehr oder weniger ratlos vor einem Text saßen. 15 Antworten, auf die gleichen Fragen, 15 Ideen darüber, was Lyrik ist, soll, kann, darf und: 15 Arten zu schreiben. Junge Dichter also, Nachwuchslyriker, Literaturbetriebs-Frischlinge…

Warum bin ich nochmal hier?

Wir befinden uns in der Bibliothek der Literaturwerkstatt, eingerahmt von deckenhohen Bücherregalen, in mittlerer Greifweite von Keksen und Salzstangen. Vor den Fenstern die Backsteinfassaden der Kulturbrauerei, innen Parkett und Papiergeruch: Für die passende Atmosphäre ist gesorgt.

Man stellt sich also vor, schiebt sich gegenseitig Knabberzeug zu und auch Simone Kornappel fragt: Warum seid ihr hier? Soweit der Anfang.

In den folgenden Treffen haben wir zusammen mit Simone über Plansprache und Politische Lyrik diskutiert, über Atemgebirge, Phonetik, flarf, Feuilletons, klausgrün und delia derbyshire. Wir haben uns mit Lyrikern, die für uns gelesen haben und sich Zynismus schon erlauben dürfen über Vortragsweisen und den optimalen Bierkonsum vor der ersten Lesung (max. 2) ausgetauscht. Wir haben mit Collagen, eraser und anderen Techniken experimentiert und: Wir haben beim Vorlesen und Besprechen unserer Texte die seltsame Erfahrung gemacht, dass der eigene Text sich im fremden Leser verändert und verflüchtigt.

Das ist keine Selbstverständlichkeit, denn wer mit dem Schreiben anfängt, kennt zunächst keinen anderen Leser als sich selbst (Freunde und Familie zählen nicht). Das Gedicht hängt in luftleerem Raum und bleibt da auch, solange es in keiner Beziehung zum Leser und zum Schreiben anderer steht. Für die meisten von uns bei open poems war es das erste Mal, dass ein eigener Text in fremder Runde gelesen und kritisch besprochen wurde. Das erste Mal, dass wir so direkt mit der Erfahrung konfrontiert waren, dass der eigene Zugang zur Lyrik nur einer von vielen möglichen ist. Wir haben also in kleiner Runde begonnen, den Bezug zum lesenden und schreibenden Gegenüber herzustellen und dabei viel über Themen, Formen und Probleme zeitgenössischer Lyrik gelernt. Dass wir dabei oft nur an der Oberfläche kratzen konnten, ist klar.

Jetzt, im Nachhinein, lässt sich leichter behaupten, mit welchen konkreten Erwartungen ich zum ersten Treffen ging, beispielsweise: Um zu erfahren wie und was andere Leute schreiben, um Techniken zu lernen, meinen eigenen Stil einzuordnen, mich weiterzuentwickeln, etc. pp. Sicher, alles richtig. Generell muss ich hier aber auch festhalten, dass es sich ganz einfach sehr ungemütlich auf einem Stapel ungelesener Texte sitzt. Also: Danke, Simone, im Namen der ganzen Gruppe. Ich freue mich auf unsere Lesung und bin gespannt, wie es weitergeht.


 

open poems – Das Finale findet am 12. Mai um 19.00 Uhr in der Literaturwerkstatt Berlin statt

Es lesen: Mareen Bruns, Carla Hegerl, Lukas Hoffmann, Johanna Hühn, Moses Junior, Leonhard Junker, Nora Leggemann, Sydney Nwakanma, Izabela Rakar, Ronja Seifert und andere
Moderation: Simone Kornappel (Autorin, Berlin)

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