New Readings | Hakan Tezkan: Den Kern schluckt man nicht

Auch im Frühling 2018 erscheinen wieder viele spannende Prosa- und Lyrikdebüts. Einige von ihnen stellen wir in den kommenden Wochen vor. Den AutorInnen haben wir ein paar Fragen zur Literatur und Person gestellt.
Heute: Hakan Tezkan


»M ging voran. Die Eltern folgten ihm, barfuß. Immer wieder blieb er stehen und schaute nach, ob sie noch da waren.«

Den Kern schluckt man nicht ist ein Roman des Moments, des Augenblicks, strukturiert in Miniaturen, die in präzisen Beobachtungen von einer defekten Familie erzählen. In einer Sprache, die Tezkan bis auf ihren Grundwortschatz destilliert, formen sich auch die Figuren zu einer Essenz, zur Idee einer Familie: ein sterbender Großvater, Vater, Mutter, Sohn. Ihm folgen wir in klaustrophobische Räume, Kabinen, Badezimmer, Treppenhäuser, und auch, wenn er sich davon schleicht, nachts, während nebenan Stimmen zu hören sind, in den Wald, die Hütte, zu Wolf. Durch all diese Szenen kriecht etwas Unheimliches, das sich nie ganz fassen lässt. Aber in den Sätzen liegen Messer, jederzeit bereit zuzustechen.


Wie lautet der erste Satz deines Debüts?

Zwischen ihm und dem Vater stand ein Holztisch.

Bist du mit ihm zufrieden? Warum (nicht)?

Beim Schreiben gibt es kein bleibendes Gefühl der Zufriedenheit. Ingeborg Bachmann sagt dazu: »Verdächtige dich, verdächtige die Worte, die Sprache […], vertiefe den Verdacht.«

Was gefällt dir am besten am Schreiben? Und was findest du am unangenehmsten?

Das Reizvolle an Literatur ist, dass in ihr immer schon die Intensität des Noch-nicht-Gesagten steckt. Das kann ein Motiv betreffen, eine narrative Struktur, auch einen Rhythmus. Die Lust der Suche findet auf diese Weise keinen Halt und somit auch kein Ende.
Dagegen scheint mir das Sprechen über Literatur oft an ihr vorbeizugehen. Das ist natürlich nur ein singulärer Eindruck. Aber ich bin es müde, in Besprechungen Inhaltsangaben zu lesen. Ich möchte erfahren, WIE das Buch geschrieben ist, möchte wissen, wie es wirkt. Auch wenn diese Wirkung selbst nicht wiederholbar ist, gibt sie entschiedener Auskunft über ein Buch, als es eine Nacherzählung vermag.

Wenn du könntest, welchen Rat würdest du deinem Ich von vor zehn Jahren geben?

Ich habe den Verdacht, dass Michael Lentz damals richtig lag: Als ich mit 19, vor knapp zehn Jahren, ans Deutsche Literaturinstitut in Leipzig kam, habe ich mich zu oft ausgeruht, zu wenig geschrieben, zu wenig gelesen. Ich habe etwas Zeit gebraucht, um zu erkennen: Schreiben bedeutet Arbeit. Schreibende sind, wie Arno Schmidt sagt, »am Wort arbeitende Steinmetze«. Eigentlich sind Schreibende aber auch geworfen: von der Literatur als Lesende in die Literatur als Schreibende, wobei diese Bewegungen niemals linear sind, sondern verwickelt.

Bereust du etwas? Was?

Beim Schreiben, vermute ich, gibt es nicht Kategorien wie Reue. Es gibt nur Texte, an deren Problemen man zwar lernt, die man aber schnell verwirft, und solche, die man, obgleich man sie verwirft, trotzdem nach außen trägt. Aber warum? Warum nicht den Text Text sein lassen? Vielleicht, weil die Literatur nicht bloß Text, sondern als Text ein vielstimmiges Gespräch ist.

Welches Gericht kochst du am besten?

Wortsalat.


Hakan Tezkan, geboren 1989 in Göttingen, lebt in Bochum. Studium am Deutschen Literaturinstitut Leipzig, seit 2012 Studium der Germanistik und Sozialwissenschaften an der Bergischen Universität Wuppertal. Redakteur des Literatur- und Fotokunstmagazins S T I L L. Prix Marcela Delpastre 2012 (poetbewegt), Finalist beim 22. Hattinger Förderpreis, Finalist beim open mike 2015.
Veröffentlichungen in Zeitschriften (u.a. um[laut], etcetera) und Anthologien (u.a. in Neue Rundschau, Tippgemeinschaft).


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