Aus der Textwerkstatt von Simoné Goldschmidt-Lechner

Gentrified Hearts

2015 saß ich auf einer Bank auf einem Hügel im Mission District in San Francisco,
die Grashalme auf der Wiese waren halb vertrocknet, es war zu Zeiten der großen drought, der kalifornischen Dürre also, und ich kannte die Namen der Bäume nicht, aber es gab Palmen und
weiter unten spielte ein Mann in seinen Fünfzigern mit einem Bart mit seinem Hund, ich glaube einem
Border Collie
ich war gerade in einem Buchladen gewesen, es wunderte mich, wie agil er war.
Ein kleiner Buchladen, dessen Besitzer den Prototypen eines Westküsten-Hipsters verkörperte, mit seinem Holzfällerhemd und dem lockeren, freundlichen, viel zu weißen Lächeln.
Das war noch bevor ich M. kennenlernte, das dauerte noch
bis November und es war damals April.
Ich war zuvor auf einer Konferenz an der Ostküste gewesen, das was ich hier beschreibe liegt also nur ein paar Leben zurück, mein Koffer war voller
Notizen
Ich erinnere mich, mit der russischen Vortragenden und der lettischen Vortragenden, deren Artikel ich Wochen später korrigierte, noch
immer in diesem Wahn, für den ich damals kaum noch Worte fand.
Ich hatte mir noch vierzehn Tage zum Nachdenken genommen, eine Auszeit. Wir waren noch nicht umgezogen.
In der Mission lernte ich drei Personen kennen.
Ich wusste sehr wenig über die Praktiken literarischen Schreibens und schrieb daher schlechte Liebesgedichte an diverse Barristas, denen ich in den nicht-Starbucks-Coffee-Shops begegnete. Ich hinterließ sie auf ihrem Tresen, wenn sie mich darum baten. Auf der Straße schrie mich eine alte Frau an:
„Fuck off, you fucking CU—”
Ich hielt den Atem an, als ich sie passierte, nahm ihren Geruch wahr,
diese Mischung aus
Fäkalien und Rosen. Es gab viele obdachlose Personen auf den Straßen. Ich will sagen, dass ich ihnen immer Geld gab, dass ich es immer probierte. In Wirklichkeit ignorierte ich die meisten vierzehn Tage lang. Es war kein neues Bild für mich, auch in dieser Hinsicht erinnerte mich diese Stadt an eine andere.
Ich hatte mir noch am Flughafen ein orangefarbenes 1917-Notizbuch erstanden. Ein Sticker des Molotov-Clubs prangte auf ihm.
Der demonstrativ lockere AirBnB-Vermieter hatte mich am Vorabend auf meine Anfrage hin, weil ich sagte, dass es keine lesbischen Hotspots mehr in San Francisco gäbe, zu einem Potluck-Grill in einer kleinen Musikbar mitgenommen,
er sagte, er fände mich wunderschön. Seine Frau habe ihm zugestimmt, ich lächelte beschämt und wusste nicht recht
antworten.
Ob ich denn lesbisch sei. „A little.“
Im Kino war mir schlecht geworden. Ich schrieb lange Emails und freute mich auf Antworten und spazierte Blocks entlang
Die Öffentlichen seien hier zwar besser als andernorts in diesem Land aber nicht
gut.
Mir war im Kino schlecht geworden. Ich sah einen Western auf Dänisch, die Geschichte eines Vaters und seiner Tochter und fragte mich, ob mein Vater jemals stolz auf mich
sein würde sein können und wo mein Leben hinversickert war. An meine Mutter dachte ich nicht, außer, wenn ich aß, wenn ich Avocado-Sandwiches zwischen meinen Backenzähnen zermalmte.
Ich war mit allem unzufrieden, als ich oben auf dem Hügel saß. Weiter unten die Schule, an der gerade eine Abschlussfeier stattfand, das ekstatische Johlen junger Stimmen. Ich lernte, das Viertel sei das Latinex-Viertel,
es habe hier auch einmal ein Schwarzes Viertel gegeben, davon sei nun nichts mehr übrig.
Der Mann, der mich mit zu sich nach Hause nahm und mir dann ein Uber rief, das ich nicht nahm, lud mich zum Meditieren ein.
Ich ging mit.
Ich kannte noch keine Praktiken. Als ich die Augen schloss sah ich vor mir, wie ich schrieb. Vielleicht würde ich an meinen eigenen Worten verhungern,
das von mir Erschriebene schien mir auf jedem Markt schwer umsetzbar.
Mir geht es auch jetzt noch so. Ich kann mir kaum Vorstellungen machen und hoffe trotzdem,
und immer noch ist auf jedem Foto hinter mir das Bild von Neal und Jack zu sehen, den Arm um die Schulter des jeweils anderen geschlungen, die Augen kaum sichtbar im Schatten ihrer Brauen.
In der Mission gab ich dem Impuls nach, der sich schon seit meiner Geburt tief in mein Herz gefressen hatte, und nun
schreibe ich
und vielleicht erreicht das eine Person
oder unsere Herzen, in die sie fremde Bedürfnisse geschlagen haben.
Auf diesem Hügel wurde mir schlagartig egal, was alle dachten und ich fand eine Stimme, irgendeine, um langsam und bedächtig sechs Jahre an mein eigenes Herz
heran zu kriechen.

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