Arne Röver: Pisco Sour

Eine reizüberflutende Rückkehr, eine Party voller Segelschuhe und eine Flucht in stille Wellen – mit Pisco Sour führt uns Arne Röver über das schillernde Glatteis namens »Oberfläche« und lädt ein, das normale, gewohnte Schöne in unserem alltäglichen Rollenspiel zu hinterfragen.

Schon der Anfang in Arne Rövers Textauszug ist stimmungsvoll und atmosphärisch. Der Fahrtwind rauscht uns beim Lesen um die Ohren, wir sitzen mit im Auto auf der Fahrt zu einer Hamburger Eventlocation, deren Beschreibung sofort einer Party vorausgreift, auf die die erzählende Hauptfigur eigentlich gar nicht gehen will. Sie bedeutet: Menschen von früher sehen. Gerede über ein Jetzt, das er selbst noch gar nicht greifen kann. Ein harter Kontrast zu den Tagen davor, die das erzählende Ich scheinbar in isolierter Stille in Sankt Peter Ording verbrachte. Eine Auszeit von sich selbst, von Karrierefragen und Zukunftsgedanken. Im Radio singt Rihanna »this is what you came for«, und er ist ihr dankbar für die Zuversicht.

Draußen zieht die Landschaft vorüber, norddeutsche Tiefebene, und es fühlt sich alles sehr vertraut an: die kleinen Dörfer, mit ihren Reetdachhäusern, und in jedem zweiten Ort eine Backsteinkirche.

Auf der Party gleicht der Text einer Kamerafahrt zu Beginn eines multiperspektivischen Beziehungs- und Freundschaftsmovies: Die später noch wichtig werdenden Protagonist:innen werden gestreift, beleuchtet und teilweise schon näher rangeholt. Ob daraus Drama oder Komödie wird, bleibt abzuwarten. Es ist laut, es wummert, die Musik ist wahrscheinlich mies, niemand tanzt. Das Motto ist laut Marius, einem der Freunde, »keine Ahnung, irgendwas mit Südamerika« und die Partygäste bestehen laut Erzähler nur aus Menschen in Segelschuhen; aus Menschen, die so aussehen wie er. Hier schwingt schon, sehr gut spürbar an einigen weiteren Textstellen, subtile Kritik mit. Ein roter Faden, den wir Lesenden dankbar ergreifen dürfen.

Nein, alle wollen immer nur Aperol Spritz. Weil der so leicht und erfrischend ist. Weil der so angenehm betrunken macht, quasi im Vorbeigehen. Ich kann keinen Aperol Spritz mehr sehen.

Pisco Sour, sage ich. Wir trinken Pisco Sour.

Small Talk, der wie gewohnt an der Oberfläche kratzt, ohne große Wunden zu hinterlassen. Figuren, die Rollen spielen oder denken, sie spielen zu müssen, weil es das ist, was von ihnen erwartet wird. Der joviale Kumpel, der nur in der sicheren Auto-Kapsel ein ehrliches Gespräch führen kann, auf der Party eher der Typ »toxischer Männlicher« ist. Mit Pisco Sour wirft uns Arne Röver zwischen den Zeilen ganz subtile, aber existenzielle Fragen vor die Füße: Welchen Weg wählen wir, wenn unsere Richtung seit dem Abitur irgendwie vorgegeben scheint? Wie schauen wir auf die Menschen, die wir seit unserer Jugend Freund:innen nennen? Wie viel verschweigen wir, wenn wir sie in unserer Gegenwart nicht mehr so sehen, wie in der Vergangenheit? Und welche Rolle spielen wir selbst, immer weiter, ohne den weiteren Text zu kennen?

Und ich sehe das ganz klar vor mir, wie wir uns küssen, und dann das Taxi nehmen, zu mir, weil da niemand ist, den wir stören könnten, und sie sich morgens aus dem Bett schält, verkatert und mit verschlafenem Blick, und ich weiß schon, wozu das dann führt, aber ich weiß auch, wie das endet, weil das immer so endet, und dann spricht man halt nicht mehr miteinander.

Der nüchterne, distanzierte Vorleseton lässt ausreichend Luft für Lacher über eine Situationskomik, die immer schwankt zwischen überzogen und »es ist genau so«. Die uns irgendwie immer erst bewusst wird, wenn andere davon berichten – wie der Erzähler in Arne Rövers Text. Die Performance hilft, rückt den Fokus geschickt zurecht und zieht Zuhörende rein in eine Stimmung, die beim leisen Lesen vielleicht nicht ganz so präzise durch die Zeilen käme. Die Sprache ist leicht, hier und da Wortwiederholungen und Banalitäten – der Wunsch nach noch etwas mehr Raffinesse ist da. Und doch besticht Pisco Sour vielleicht gerade damit. Dass etwas genau so gezeigt wird, wie es ist – in der Hoffnung, dass wir Lesende es endlich hinterfragen. Ein gelungener, kritischer Blick mit viel Potenzial und dem Wunsch nach mehr Tiefe und dem Tauchen unter die Oberfläche.

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