Johannes Müller-Salo: Wir hielten sie für Freudenfeuer

Johannes Müller-Salos erstes Gedicht beginnt mit einer Aufzählung von Namen. Den Namen derjenigen, die am 19. Februar 2020 in einem rechtsextremen Terrorakt in Hanau ermordet wurden. Er schreibt:

Würde ist
jede Prämisse,
damit
unantastbar.

Was auch bedeutet:
Der Schluss,
er gilt.

Es sind hochpolitische und aktuelle Gedichte, mit denen man es hier zu tun hat, und allein daraus spricht ein gewisser Mut. Es ist nicht einfach, sich poetisch solchen Themen anzunehmen und Johannes Müller-Salo hat sich gegen die in der Lyrik so oft hochgehaltene Subtilität und für ein radikales Benennen entschieden. Mit klaren, harten und mitunter düsteren Worten schreibt er gegen Rassismus, Rechtsextremismus und Klimawandel an. Dabei weisen seine Texte unwillkürlich auf die Frage hinaus, wie sich Poesie in gesellschaftspolitischen Krisenzeiten zu verhalten hat.

Auf der Kirmes,
am Eingang zur Geisterbahn,
da steht kein Afrikaner mehr
mit fetten roten Lippen,
den Ohrring aus Gold.

Nicht weit von der Kirmes
liegt eine Terrasse,
wo einer einen erschießt.
Den Lauf am Gedanken,
direkt in den Kopf.

Die Gefahr an solchen Texten ist immer, dass das Vorhaben allzu plakativ gerät und das Sprachliche unter der Wucht der Themen zu kollabieren droht. Diese Gefahr ist an manchen Stellen in Johannes Müller-Salos Gedichten spürbar; er weiß sie jedoch durch bemerkenswerte sprachliche Bilder und Metaphern zu parieren. Es wird das Bild einer Republik gezeichnet, in der Gewalt strukturell so tief verankert ist, dass sie zwischen Wetterbericht und Kirmesbesuch kaum noch auffällt.

Der Himmel hat einen Sprung
in der Wolkenschüssel
zeigen sich feine,
fast zärtliche Risse.

Wir kennen das schon
aus unserer Küche.
Das geht auf Dauer nicht gut.
Keine Vorsicht genügt.
Der Klebstoff versagt.
Nur auf Wochen bleiben
die Scherben beieinander.

Es ist gut, dass diese Texte zum diesjährigen open mike ausgewählt wurden. Viel zu oft muss sich die Lyrik den Vorwurf gefallen lassen, sich in ästhetischen Oberflächlichkeiten zu verlieren und fernab des politischen Diskurse zu stehen. Auch wenn dieser Vorwurf oft haltlos ist, diese Gedichte beweisen mit Nachdruck das Gegenteil. In seiner Performance liest Johannes Müller-Salo dann mit klarer Stimme, der sarkastische Unterton lenkt die Zuhörer:innen dabei an manchen Stellen zu sehr in eine Richtung.

Mensch sagt sich neuerdings verstärkt:
»Die Gesellschaft, sie muss handeln,
sich bewegen, etwas tun!«


Wir schauen uns fragend
nach allen Seiten um.

Zum Ende hin kommt es dann doch noch zu einem Drift hin in einen intimeren Kosmos, in dem ein Du und Ich vergebens um Verbindung ringen. Auch hier setzt Johannes Müller-Salo aufs Benennen, das Wort »Liebe« wird ausgesprochen und durch einen Mantel aus schwirrenden Wespen vor der Verkitschung bewahrt. Auch wenn dieses Umschwenken überrascht, scheint es angesichts der Koexistenz von Gewalt und Empathie doch irgendwie konsequent. Es wird noch gegen vieles anzuschreiben sein in diesen Zeiten, denn:

Es pocht und pocht und pocht überall im Land.

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