Von der Lesung zum Buchvertrag | Der Debütabend zum 31. open mike

© Natalia Reich

Das erste Highlight jedes open mike: die Auftaktveranstaltung mit ehemaligen Finalist:innen und ihren frisch veröffentlichten Debüts. Ralph Tharayil, Josefine Soppa und Nail Doğan erzählen, wie sie von ihren open-mike-Lesungen zum Buchvertrag kamen.

Gut füllt sich der Saal des Heimathafens zur Auftaktveranstaltung des 31. open mike. Der Debütabend beginnt mit Begrüßungsworten von Matthias Kniep, stellvertretender Leiter vom Haus für Poesie, und mit einer Keynote von der Autorin Katrin Röggla, die den allerersten open mike 1993 gewonnen hat. Ihre Rede, in der sie das Verhältnis von Literatur und Haltung beleuchtet, könnt ihr hier nachlesen.

Dann ist es endlich soweit: Die ehemaligen open-mike-Finalist:innen Ralph Tharayil mit seinem Lektor Helge Pfannenschmidt, Josefine Soppa mit der Jurorin Verena Güntner und Nail Doğan mit Mohammed Ghunaim betreten die Bühne, um gemeinsam mit Moderatorin Marie Kaiser über ihre kürzlich veröffentlichten Debütromane und Lyrikbände zu sprechen.

Ralph Tharayil, der den 25. open mike in der Kategorie Prosa für den Text »Das Liebchen« gewonnen hat, ist der einzige der eingeladenen Autor:innen, der bereits diese Bühnenerfahrung im Heimathafen hat – sehr ungewöhnlich für den open mike: Denn sowohl Soppa als auch Doğan lasen bei der Pandemie-Ausgabe 2020, die komplett digital stattfand.

Tharayils Roman »Nimm die Alpen weg« (Edition Azur) erschien sechs Jahre nach seiner Teilnahme beim open mike. Auf die Frage Marie Kaisers, wieso er so lange bis zur Veröffentlichung gedauert habe, sagt Tharayil, er habe genau diese sechs Jahre auch fürs Schreiben gebraucht, manchmal wochenlange Pausen gemacht. Er glaube an die Zeit, die Texte brauchen, denn beim Schreiben, so der Autor, vergehe die Zeit anders. Am Interesse der Verlage lag es definitiv nicht: Sein Lektor Helge Pfannenschmidt sagt, ihn habe der Text sofort begeistert und er habe deswegen keinen Moment gezögert, weil einfach alles gepasst hätte.

Über das Schreiben erzählt Tharayil, dass er viel Ruhe brauche, am besten keine keine anderen Reize, denn das Schreiben mache ihn »porös«. Die Lektoratsarbeit an »Nimm die Alpen weg« mit beschränkte sich mehr auf kleine Details, war vor allem eine Reduktion des Textes. Das merkt man dem lyrischen Roman an: Eine dichte Erzählung voller starker Bilder mit einem chorischen Wir, ein Geschwisterpaar, das mit kindlicher Naivität und in starken Bildern spricht.

Für Josefine Soppa, deren Debüt »Mirmar« dieses Jahr im Aufbau Verlag erschien, war der Umstand, während der Pandemie zu lesen, sogar ein Segen – die digitale Ausgabe 2020 bedeutete nämlich Videoaufnahmen, die man vorher aufzeichnen konnte. Sie habe ihr Handy für die Aufnahme in ihrer Pflanze befestigt und sich ganz nah davorgesetzt, da sie kein Mikro hatte, verrät die Autorin mit einem Lachen. Für Debütant:innen hat sie auch direkt einen Tipp parat: Ihre Kurzgeschichte versah sie kurzerhand mit dem Zusatz »Romanauszug«, obwohl sie zu dem Zeitpunkt gar kein Manuskript hatte.

In der Schreibphase, die begann, nachdem ihre Lektorin Friederike Schilbach dank des open mike auf sie aufmerksam wurde und mehr lesen wollte, hatte sie zwei gegensätzliche Gefühle: »Ich war unsicher, wann ich den Text rausschicken sollte, gleichzeitig aber auch ungeduldig.« Nach knapp anderthalb Jahren fühlte sie sich bereit – Schilbach bekam die Hälfte des Manuskripts, aus dem später der Roman wurde. Beim Schreiben half ihr eine Freundin, indem sie ihr ein »persönliches Stipendium« verlieh. Mit ihr hatte Soppa für ein Kunstprojekt ein dotiertes Stipendium bekommen, die Freundin trug ihr aber auf, einen Tag pro Woche an »Mirmar« zu arbeiten. »Auch wenn es nur symbolisch war, diese Erlaubnis, mich meinem Text zu widmen, hat mir geholfen.«

Gemeinsam mit Josefine Soppa auf der Bühne sitzt Verena Güntner, ebenfalls Autorin, die 2020 in der Jury war und sich sofort für ihre Kurzgeschichte begeisterte. »Es geht darin um Isolation und Handlungsunfähigkeit, was sich seltsam gedoppelt hat mit unserer Situation. Der Text hat uns nachhaltig beschäftigt«, beschreibt sie den ersten Eindruck. Die Juryarbeit war für sie übrigens »komisch«, wie sie sagt. Aus gutem Grund – 2012 war Güntner selbst open-mike-Autorin. »Ich kannte die andere Rolle und habe dadurch die Last dieser Verantwortung stark gespürt«, so Güntner. Trotzdem hatte sie Spaß an dieser ungewohnten Arbeit. Und sie findet beruhigende Worte für all jene Autor:innen, die nicht ausgezeichnet werden: »Jedes Jurymitglied mag auch Texte, die am Ende vielleicht nicht durchkommen. Das Wichtige ist, dass alle hier gehört werden. Auch die, die nicht prämiert werden, scheinen durch.«

Zuletzt spricht Nail Doğan, dessen Gedichtband »Ausgeliehene Suchtwörter« dieses Jahr im Elif Verlag erschien, über seine Lesung beim open mike. Der Lyriker, der 2020 sowohl den Preis für Lyrik als auch den taz-Publikumspreis verliehen bekam, teilt die Pandemie-Erfahrung mit Soppa. Er sitzt auf der Bühne mit seinem Freund und Kollegen vom Hamburger Thalia Theater Mohammed Ghunaim, genannt Ziko, seit vielen Jahren sein größter Fan. Mehr als selbstverständlich, dass er Doğan beim Filmen des Lesungsvideos damals natürlich half!

Auf die Frage nach seiner optimalen Arbeitsweise erläutert Doğan kurz wie humorvoll: Nachtzeit, stimulierende Substanzen und 59-Cent-Schreibhefte. Dies will er aber nicht als Empfehlung verstanden wissen, ergänzt er im Wissen darum, dass alle (jungen) Finalist:innen des diesjährigen open mike im Publikum sitzen. Auch danach bricht er mit dem konventionellen Verlauf von Lesungen und verkündet, er wolle nicht aus seinem Debüt vorlesen, die Gedichte seien für ihn inzwischen zu alt, zu oft vorgetragen. Er liest einige neuere Gedichte und mischt diese mit Entwürfen aus den besagten Schreibheften, die teilweise erst zwei Wochen alt sind. Seine Lyrik zeichnet sich vor allem durch Multilingualität aus, die, so bestätigt es auch Ziko, teil der Alltagswelt von Nail Doğan ist. Neben der Vielsprachigkeit besticht sein Vortrag durch eine ausgeprägte Rhythmik und Tonfallwechsel. Auf eine sehr zeitgemäße Weise fesseln und unterhalten die Texte mit poetischer Assoziationslust.

Unter lautem Applaus geht dieser Auftaktabend zu Ende. Für die diesjährigen Finalist:innen hoffentlich auch eine Beruhigung – schließlich wissen sie jetzt, dass allein schon die Teilnahme an Deutschlands größtem Nachwuchswettbewerb sehr viele Türen öffnen kann!

Alle Fotos: Natalia Reich

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.