Caroline Rehner: Überflüssige Meere

Wie gestern wird der open mike-Tag mit Lyrik gestartet, die es in sich hat. Caroline Rehner backt uns zum Frühstück keine kleinen lyrischen Brötchen, sondern präsentiert uns mit »Überflüssige Meere« einen Auszug aus einem Zyklus von 24 Gesängen, die sich auf die »Odyssee« von Homer beziehen. In sieben Strophen wird ein Familienepos feingliedrig durchseziert: Großmutter, Vater, Schwester, Tante, Mutter – und Elpenor, der tote Jüngling im Zentrum des Epos.

Niemand kommt mich besuchen, sagte
meine blasshäutige Großmutter
und zur Krankenschwester sagte
sie: Ich hatte noch einen weiteren Sohn

Er starb in meinem Körper kurz nach dem Krieg
Niemand trauert um ihn: Elpenor

Wer ist Elpenor? Da mein Wissen über griechische Mythologie eher begrenzt ist, erzählt mir Wikipedia, dass Elpenor ein Gefährte von Odysseus und wohl nicht sehr tapfer im Kampf war. Caroline Rehner führt ihn als Fehlgeburt ein. Er scheint sich nicht mal auf die Welt getraut zu haben – seine Zeichnung im Gedicht reibt sich androgyn am antiken Vorbild:

Elpenor rollt halterlose Strümpfe hoch

Der Lektor Ulf Stolterfoht stellt Caroline Rehner als Literaturwissenschaftlerin vor, die Demenzphänomene in der Gegenwart erforscht. So ist auch die Erzählerstimme nicht zuverlässig, keine chronologisches Bild dieses Familienepos ergibt sich, sondern wird zeitlich und sprachlich zersetzt, wie der demente Geist der Großmutter. Zeit und innere Logik hebelt Caroline Rehner gekonnt aus, ohne das übergreifende Narrativ dieser Familie zu verlieren.

Die Folie der Odyssee zieht sich durch alle Strophen, jedoch bleibt vieles noch im Dunkeln, was wohl der Tatsache geschuldet ist, dass dies nur ein Auszug ist. Die finale Strophe über Elpenor wird aus zeitlichen Gründen nicht mehr vorgetragen, die einen weiteren Schlüssel zur Rezeption enthält. Schade, dass der gesamte Aufbau fehlt. So wirkt das ambitionierte Projekt mit seiner dichten lyrischen Sprache doch schwer zugänglich.

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