Alexander Rudolfi: arber werden

Und schon kommt der letzte Text des Samstags: die Gedichte arber werden von Alexander Rudolfi.

»arber ist ein wort für die schneeschmelze auf feldern«, startet der Gedichtzyklus von Alexander Rudolfi. Das Wort beschreibt damit einen Zustand des Übergangs, eine Transition, die schleichend voranschreitet. Doch ist damit auch immer eine Zerstörung mitgemeint, eine Zersetzung des Schnees, der als Wasser in den Grund sinkt und diesen aufweicht, Ströme bildet, Veränderung bringt.

Der Gedichtzyklus erzählt aus einem Wir von der Welt des Dorfes, eines Dorfes überall und nirgends. Über die Beschreibung verschiedener Bilder der Zersetzung, der körperlichen, metallischen, allgemein materiellen, evoziert das Sprechen eine Stimmung des Umschwungs. Mit jeder Zeile setzt sich dabei aus dem Fluss des Sprechens immer mehr ein Bild zusammen, das den Drang nach Freiheit ausdrückt, den Drang, aus der Enge des Dorfs auszubrechen.

alles redet hier rinnsteine entlang in diesen ein- und
ausschwällen, in erbrochenen sätzen gegen das zerfließen
der sätze an, wenn es arber wird und versucht, sich an die
gitterstäbe im teer zu klammern, die rosten vom salz, um sich
zu schützen gegen seine verflüssigten grenzen, wie wir.

arber werden bleibt dabei formal immer auf dem schmalen Grat zwischen Lyrik und Prosa. Die Zeilen fallen im Rhythmus des Satzspiegels, tragen hier keine weitere Funktion. Strukturiert werden die Gedichte allein durch Kommata, Semikola und Punkte, die den sich beständig wandelnden Rhythmus des lyrischen Sprechens bestimmen. Seine assoziative Kraft gehört aber fest ins Reich der Lyrik.

Gerade diese Assoziationskraft ist es auch, die die Gedichte ausmacht. Die Bilder des Zerfalls, des Schmerzes und der vermeintlichen Unentrinnbarkeit der beständigen Wiederholung in der Welt der dörflichen Tradition sind gepackt in eine Sprache, die sich in diesen Bildern windet, sich selbst zu quälen scheint in Wiederholungen und dem immer neuen Versuch, Sätze zu bilden, die Neues sagen. Immer wieder reagiert die Form auf den Inhalt, fangen die Satzteile an, sich um sich selbst zu drehen, wenn es ums Recyclen geht.

Alexander Rudolfis Gedichtzyklus wohnt die geballte Naturkraft der Zersetzung inne. Wie Tropfen, die beständig den Stein höhlen, sägt hier jeder Halbsatz am starren Gerüst der Tradition, sperrt sich gegen das Versinken in der ständigen Wiederholung. Ohne Frage lässt er die Zuhörenden erschöpft zurück, denn die volle Länge ist ohne Zweifel anstrengend. Der inneren Kraft von arber werden tut dies aber keinen Abbruch.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.