große Sätze: die Lyriker des Open Mike

von Stefan Mesch, Open-Mike-Blogger und Finalist/Autor

(Auf dem Open Mike lesen und drüber bloggen? Darf der das…?)

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Als “embedded Blogger” und Journalist begleite ich den 20. Open Mike in kurzen, persönlichen Blog-Snapshots.

Ich bin am Samstag / Sonntag zum ersten Mal beim Wettbewerb… aber konnte JETZT, heute, die Anthologie mit den anderen Texten kaufen. (Erhältlich hier, im Heimathafen Neukölln, am Einlass.)

Darum, ganz subjektiv und kurz: tolle Sätze / Wendungen / Ausschnitte, die ich bei den anderen Teilnehmern / Finalisten las.

Den Anfang, heute: die Lyriker.

[wichtig: immer nur Ausschnitte. und: in Einzelfällen nicht die komplette Zeile.]

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Yevgeniy Breyger:

das paradonton pflanzt sich ausschließlich
autonom, folglich autosexuell fort. das paradonton ist hydrophob
und leidet an chronischer angst vor sich selbst (es scheißt
sich ein, wenn es seinen eigenen schatten sieht).

Ausschnitt: der betroffene beschrieb ein küstentier, meinte sich selbst

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Sascha Kokot:

hinter der Nordkapelle der Oberleitung dem Betonwerk
geraten die Gipfel in Bewegung
brechen die Hänge aus ihrer Kartierung herab
verlegen die Baumgrenze vor
als hätten sie sich sehr lange nur ausgeruht
uns Menschen hier beinah verschlafen

Ausschnitt / kein Titel

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Martin Piekar:

Ich brauche ein kleinwenig Weltschlaf.
Ich lege mich zu den Alben. Zu den Alben.
Die wecken einen recht zeitig.

Ausschnitt: Bastard IIII: Von Argen und von Alben

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Friederike Scheffler

bin kaum aus dem haus, um nichts zu verlieren,
den geschmack nicht oder die flächig geriebene
stelle am kropf. der sturen gans melancholie
musst ich an den kragen.

Ausschnitt / kein Titel

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Michael Spyra

Du bist der Wankelmotor eines Steppenläufers,
der Laufradhamster, der die Tram schon fahren sieht.
Ein Sprinter mit den Attributen eines Säufers
ein Glockenspiel im Beutel, bin ich Eremit.

Ausschnitt: Der Flaschensammler

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Arne Vogelgesang

letzte nutzviehgrüppchen
sprengeln auf diesem oder anderem
feld, irgendwie soziale durchhalteparolen
des bedarfs, der brauchbarkeit. hallo
du, heimat, hinterland, vorfeld. du
wieder. fahr mit dem rücken voran.

Ausschnitt: (werben)

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Linus Westheuser und Tristan Marquardt

draußen ging im müll ein fuchs, der sah von weitem recycelt
aus, als könnten wir ihn noch gebrauchen. einbauen. komm rein,
wir führen gerade einen rufmord auf.

Ausschnitt / kein Titel.

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Meine Lieblingszeile, überhaupt, kommt von Martin Piekar:

„Ich musste dieses Gedicht schreiben.“

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2010 schrieb Blogfreund Klaus Hausbalk über Lyrik auf dem Open Mike:

„Sondersituation Lyrik: 15 Minuten Lyrik am Stück sind zu viel, das weiß jeder, immer schon, es wird trotzdem seit Jahren nicht geändert.“

Das mag – im Vortrag, in der konkreten Vorlese-Situation – stimmen. Als Hilfsmittel und Hürde, um tolle Lyriker zu finden, kommt es mir (beim Lesen der Anthologie) sinnvoll und hilfreich vor. Denn ein, zwei gute Gedichte… das klappt. Bei allen hier. Aber 8, 10, 15 Texte? Das scheint mir für Lyriker ein (guter!) Härtetest. Und fast würde ich – privat, persönlich – die AutorInnen prämieren, die diese lange, ausgedehnte Zeit zur Vorstellungen nutzen…

…um einen weiten Raum, Abwechslung, Vielstimmigkeit, Lust am Versuch zu zeigen. Ich bin kein Lyrik-Experte. Und treffe oft vorschnelle (Bauch-)Entscheidungen. Aber als Lyrik-Labor… funktioniert dieser Wettbewerb – durch sein Zuviel und Zulange an Einzeltexten – für mich sehr gut.

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Mehr Infos zu den Lesungen: Link

Mehr Infos zur Geschichte und Programmatik: Link

Artikel / Presse: Link

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