Eine besonders ausgefeilte Empfehlung werde ich nicht abgeben, aber ich sage dies: Thomas Brasch ist eine literarische Wucht! Er ist ein Lastwagen, der Dir so dermaßen über den Brustkorb donnert, dass Du noch Wochen später gebrochene Rippen spürst. Er ist kompromisslos, messerscharf, gewaltig. Er versteht es, nur das Wenigste zu sagen, in Bildern, die einem beiläufig die Luft abschnüren. Den Rest überlässt er den Beugsamen. Er sticht in die eigenen Wunden, die Wunden seiner Zeitgenossen, er hält sie dem Staat vor Augen und händigt ihm seine Krankheit aus, bescheinigt auf sträflichem Papier. Seine Erzählungen sind politische Tretminen, die jene Propaganda zerfetzen, die den Bodensatz nicht erblickt, Überflieger waren seit je her Fehl am Platz. Die Zeit sozialistischer Illusionen ist vorbei, die DDR noch vor Thomas Brasch gestorben. Wenn man sich heute aber in ruhiger Stunde in seine Texte kniet, spürt man in der Brust das späte Zucken jenes Schmerzes, der diesen Mann zeitlebens das Leben gekostet hat. Für mich ein besonderes Juwel, hiermit gebe ich es her!
Ich habe diese Empfehlung vor drei Tagen geschrieben und abgeschlossen – also ausdrücklich: Ich hatte nicht vor, sie zu erweitern. Heute hat meine Brasch-Euphorie, die schon seit mehr als zwei Jahren anhält, mich dazu gebracht, dass ich endlich die Dokumentation „Brasch – Das Wünschen und das Fürchten“ gesehen habe, die ich schon lange im Auge hatte und seit wenigen Tagen besitze. Um ehrlich zu sein: Sie hat mir Angst gemacht. Ich muss vorweg sagen, dass ich in den letzten zwei Jahren nahezu alles gesehen habe, was das Netz über Brasch hergibt, und nahezu alle Bücher sowie die filmedition suhrkamp Box besitze, die alle seine Filme und reichlich Bonusmaterial über sein Leben beinhaltet. Das meiste davon habe ich mir unzählige Male angesehen und unzählige Male gelesen, ich habe diesen Menschen wie kaum einen anderen Schriftsteller studiert. Dennoch, heute, vor dem Hintergrund meines eigenen Schreibens, wichtiger noch, meines eigenen Menschseins, hat er mir Angst gemacht wie nie zuvor. Ich kannte den jungen Brasch, ich wusste um den gealterten, wusste um sein Ende, jetzt habe ich es mitangesehen – und die Dokumentation ist ihrem Titel gerecht geworden: Sie lässt mich fürchten, so einsam und haltlos zu sterben wie er, inmitten eines selbsterrichteten Gefängnisses aus Worten, Kokain, Zigaretten, Alkohol, Schmerz und Spiegeln. Sie lässt mich wünschen, mein Schreiben möge mich an einen anderen Ort bringen, einen, an dem es noch Neugier gibt, Verbundenheit, Anteilnahme und tausend Dinge – zur Not, ja, zur Not sogar ein wenig Idylle.
Thomas Brasch führte eine der schmerzvollsten literarischen Existenzen, die mir bekannt sind, und ich meine, sein Inneres nach den Möglichkeiten meines Inneren erfasst zu haben. Vermutlich genau deshalb tut es mir weh mitanzusehen, dass er nie einen Ausweg gefunden hat. Um diese eigentümliche Empfehlung also zu einem Abschluss zu bringen: Sowohl in seinen Büchern als auch in der indirekten Erfahrung seiner Biografie besitzt dieser Autor eine Sprengkraft, die einen aus dem Körper schleudert und hinein in eine Düsterkeit, wenn man ihn nur nah genug an sich ranlässt. Und genau dies möchte ich jedem empfehlen, der sich nur irgendwie dazu berufen fühlt.