Jenifer Johanna Becker: „Molicure Moss“

Es ist der letzte Schultag vor den großen Ferien und als der Unterricht ausfällt, ist der Start in den Sommer so perfekt, wie er für die 14-jährige Protagonistin nur sein kann. Denn sie ist verliebt und am Wehr kann man baden gehen. Zwischen den Gleisen und vermüllten Büschen sitzen also die Jugendlichen, rauchen Gras, baden, begutachten ihre unfertigen Körper.

Das Leben der Figuren plätschert so dahin, wie es in dem Alter eben plätschert, aber genau das tut auch der Text, den Jenifer Johanna Becker und in ruhigem, unaufgeregtem Ton vorträgt*. Ein Stück Jugendkultur soll hier eingefangen werden, an Testosteron und pubertärer Unsicherheit fehlt es auch nicht, dafür aber an Atmosphäre. Deutlich wird dies besonders am Ende, wenn die Erzählung in Phantastische kippt. Denn es gibt da dieses Lager, Cure, „in dem ein paar unheimliche Wesen lebten“. Und dann erscheint wie aus dem Nichts dieses zombiartige Wesen, das ein bisschen an den verschollenen Mitschüler Mehmet erinnert und das die Hauptfigur beim Pinkeln überrascht.

„ … verdammt noch mal –, sein Gesicht sah aus, als wäre es geschmolzen oder als würde die linke Seite, auf die die Sonne prasselte, gerade schmelzen. Und auf seinem Kopf, direkt über der Stirn, drückte sich irgendetwas aus seinem Scheitel, das aussah wie ein spitzer, kalkweißer Knochen. Eine Art Horn.“

Was im ersten Moment wie eine Nebenwirkung des ungewohnten THC wirkt, ist wohl etwas anderes, etwas Übernatürliches, als solches jedoch zu wenig elaboriert. Lektor Günther Eisenhuber sagt über den Text: „Es passieren Dinge, von denen ich gern wissen würde, was sie zu bedeuten haben.“ So dringend ist es bei mir nicht.

*Die Autorin nach der Lesung: „Tut mir Leid, dass ich nicht so gut gelesen habe, aber ich hatte vor ein paar Tagen eine Blinddarm-OP.“ Schön gelesen, gute Besserung!

 

***

Leseprobe: Jenifer Johanna Becker; Molicure Moss
(Auszug Kapitel I)

Irgendjemand hatte alle Schlösser mit Kleber zugeschmiert, weswegen wir nach dem zweiten Gong immer noch hinter den Restmüllcontainern standen und rauchten. Es roch süßlich und nach nasser Pappe, und neben meinem Schuh lag irgendwas, das mal ein halbes Brot gewesen sein könnte, und überall waren kleine Fruchtfliegen, die um unsere Köpfe schwirrten. Ich behielt die Lücke zwischen Wand und Mülleimer im Auge, durch die man hereinschlüpfen konnte – wenn man beim Rauchen erwischt wurde, gab es zwei Aufräumstunden und einen Brief an die Eltern –, aber an diesem Tag streifte nur der grauhaarige Chemielehrer halbherzig über den Schulhof, er hatte alle Raucherecken ausgelassen und sich stattdessen der Mauer zugewandt, hinter der die gesamte Lehrerschaft mit dem Hausmeister diskutierte. In den vier Jahren, die ich auf dieser Schule gewesen war, hatte ich noch nie erlebt, dass der letzte Schultag völlig boykottiert wurde. Normalerweise bewarfen sich die Leute mit Wasserbomben oder schmierten sich gegenseitig Lebensmittelfarbe auf den Rücken. Aber die Nummer mit den Schlössern war etwas anderes – Vandalismus – und die Polizei sollte bald hier sein.
Ich pustete dünnen Qualm in die Luft, der sich sofort verflüchtigte. Es sah immer noch etwas unbeholfen aus, wenn ich am Filter zog und meine Lippen zu einem weißen Strich zusammenpresste, anstatt es irgendwie lässig zu machen, wie diese Frauen in Filmen, die auf Brückenpfeilern sitzen und ihre feucht schimmernden Lippen um den Filter legen. Aber den anderen war es bisher nicht aufgefallen, sie hatten noch keinen blöden Spruch gebracht und verhielten sich normal. Normal bedeutete, dass sie mich nicht beachteten. Ich war ein Anhängsel, eine Fickmaschine, wie Tobster die anderen Mädchen nannte, und ich wusste, dass er es hinter meinem Rücken genauso machte. Und wenn ich ehrlich war, war es mir egal.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.