Auch im Frühling 2019 erscheinen wieder viele spannende Prosa- und Lyrikdebüts und einige von ihnen stellen wir hier vor. Den Autor*innen haben wir ein paar Fragen zur Literatur und Person gestellt – zum heutigen Indiebookday präsentieren wir euch Demian Lienhard und sein Debüt, das in der Frankfurter Verlagsanstalt erschienen ist.
Außer der Hochbrücke ist nichts besonders an der kleinen Stadt, in der Alba lebt – die 25 Meter fällt man bei Windstille in 2,28 Sekunden, die Straße darunter ist statistisch gesehen die tödlichste der Schweiz. Das Schuljahr ist noch nicht vorbei, und schon hat Alba auf diese Weise drei Mitschüler verloren. In Zürich gehen die Jugendlichen auf die Barrikaden, sie kämpfen für kulturellen Freiraum, gegen Wohnungsnot, Drogenelend, Überwachung. »Macht aus dem Staat Gurkensalat!«, lautet die Parole. Alba ist mittendrin und hat dazu noch ihre ganz eigenen Probleme. Eines davon: Jack. Eigentlich heißt er René, aber Jack ist einfach passender. Kurz nach Albas ›Unfall‹ werden sie ein Paar. Für einmal ist Alba glücklich, aber keiner weiß besser als sie, dass alles einen Haken hat – gerade das Glück. Und wenn man erst auf die schiefe Bahn gerät, geht es rasant bergab … oder?
Mit frappierender Originalität, intelligentem Witz und einer kompromisslosen Tragik folgt Demian Lienhard seiner jungen, erfrischend widerborstigen und einnehmenden Ich-Erzählerin Alba bei ihren Höhenflügen und Tiefschlägen durch die knisternde Atmosphäre der 1980er und frühen 1990er in der Schweiz, geprägt von wachsenden sozialen Problemen und einer aufrührerischen Jugendbewegung. Der glühende Kern des sprachsicheren und virtuosen Romans aber ist die rebellische Erzählstimme selbst, eine funkensprühende Verbindung aus ›Smells Like Teen Spirit‹, ›La Boum‹ und einer unwiderstehlichen Warmherzigkeit, schelmischen Humor und Sprachwitz – Alba würde man überallhin folgen, sogar auf diesen Höllentrip.
Was schoss dir durch den Kopf, als du dein Debüt zum ersten Mal in den Händen gehalten hast?
Ich war auf eine seltsame Art und Weise traurig, denn das war der Moment, in dem ich so richtig erkannt habe, dass mein Buch und mit ihm die Figuren – allen voran die Erzählerin Alba – von nun an auf sich alleine gestellt sind und diese Geschichte nun nicht mehr nur meine ist, sondern auch mehr und mehr die der Leserinnen und Leser wird.
Wie lautet der erste Satz deines Debüts?
»Ich habe Jack an jenem Tag kennengelernt, als hinter unserem Haus ein Achtundzwanzigjähriger vom Himmel gefallen ist.«
Was gefällt dir am besten am Schreiben? Und was findest du am unangenehmsten?
Um es mit meiner Erzählerin Alba zu sagen: »Wenn es etwas gibt, was ich nicht ausstehen kann, dann sind das Anfänge.« Also: Anfangen zu schreiben. Das gilt für einzelne Tage, aber letztlich auch für ganze Texte. Den Anfang, also die Erzählstimme und den Plot zu finden, ist wahrscheinlich das Schwierigste, da ist ganz viel Unsicherheit vorhanden, man wünschte sich jemanden, der einem sagt, was man tun muss; gleichzeitig ist da das Wissen darum, dass es diesen Menschen nicht gibt.
Sobald man aber hineingefunden hat, wie es mir gerade mit meinem zweiten Roman geschehen ist, geht plötzlich alles wie von selbst. Man freut sich auf die Arbeit am Schreibtisch, weil man während ihr in unsägliche Glückszustände versetzt wird. Ich glaube, das ist auch der Hauptantrieb, sich jedes Mal wieder von Neuem an den Schreibtisch setzen zu wollen.
Wenn du könntest, welchen Rat würdest du deinem Ich von vor zehn Jahren geben?
Gib Dir eine Schreibroutine und feste Schreibzeiten; (deine) Romane entstehen nicht an drei Samstagnachmittagen im Café und einer rotweingetränkten Sonntagmorgendämmerung, sondern in Blöcken von vier bis fünf aufeinanderfolgenden Sechsstundentagen; misstraue Begriffen wie »Inspiration« und »Genie« und Leuten, die behaupten, ihre Texte würden allein dadurch entstehen; lege stattdessen Materialsammlungen an, die Dir in schwierigen Stunden Stütze sind; lies auch schlechte Literatur, um aus ihr zu lernen, aber orientiere Dich nur an den Besten, lies sie wieder und immer wieder und scheue Dich nicht, zu untersuchen, weshalb sie so gut sind, wie sie eben sind.
Bereust du etwas? Was?
Vielleicht, dass ich aus heutiger Sicht gerne früher damit angefangen hätte, regelmäßig und routiniert zu schreiben.
Mit welchem Autor / welcher Autorin würdest du gern mal ein Bier trinken gehen?
Wenn sie noch lebte – und ich wünschte mir, dass sie noch lebte –, würde ich gerne mit Sylvia Plath die ein oder andere Flasche Rotwein trinken. Wahrscheinlich die beste Autorin, die jemals gestorben ist.
Demian Lienhard, geboren 1987 in Baden/Schweiz, hat in Klassischer Archäologie promoviert und arbeitete danach als Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Goethe-Universität in Frankfurt am Main. Er erhielt zahlreiche Stipendien und Preise, darunter das »Schwazer Stadtschreiber«-Stipendium, war Finalist beim 24. und 26. open mike in Berlin und gewann den 2. Preis beim »Literaturwettbewerb Prenzlauer Berg« 2018. »Ich bin die, vor der mich meine Mutter gewarnt hat« ist sein Romandebüt.