Der open mike lädt jedes Jahr eine Reihe von Lektor:innen, Literaturagent:innen sowie Verleger:innen dazu ein, die Vorjury zu sein: Nach Einsendeschluss im Sommer werden die bis zu 600 anonymisierten Manuskripte an sie weitergereicht. Die Vorjury liest und wählt ihre Kandidat:innen aus.
Die ersten vier der sieben Vorjuror:innen des 31. open mike stellen wir euch heute vor.
Alexandru Bulucz
Worauf freuen Sie sich als Teil der Vorjury zum 31. open mike mit Blick auf das Wettbewerbswochenende am meisten?
Auf die Auftritte der Autor:innen, die anschließenden Diskussionen und insbesondere die Reaktionen auf die von mir ausgewählten Texte.
Was hat Sie bei der Lektüre der Manuskripte überrascht?
Dass sich die Qualität der eingereichten Texte fast ohne Ausnahme in deren ersten Zeilen und Sätzen zeigt.
Welche Kriterien waren Ihnen bei der Auswahl der Texte besonders wichtig?
Nicht ich bestimme die Kriterien, sondern der jeweilige Text. Es ging mir darum, herauszufinden, ob der jeweilige Text dem eigenen ästhetischen Anspruch gerecht wird.
Welche Entwicklungen in der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur haben Sie in den letzten Jahren beobachtet? Können Sie – vielleicht auch nach der Lektüre der open mike-Texte – Tendenzen erkennen?
Die große Tendenz ist die der biografisch motivierten Literatur. Mein Eindruck ist, dass die open mike-Texte diese Tendenz bestätigen. Umso mehr freut man sich dann über Ausnahmen, jene Texte, die davon abweichen und anders sind, die mehr fabulieren, die humorvoll sind etc.
Was möchten Sie den jungen Autor:innen schon jetzt mit auf ihren Weg geben?
Niemals das eigene Schreiben von vermeintlichem Erfolg oder Misserfolg abhängig zu machen, einen langen Atem zu haben und seine Lebensthemen nicht gleich beim Debüt zu verschleudern. Ich halte Debüts für überschätzt und die Bücher, die danach folgen, für aussagekräftiger.
Alexandru Bulucz (*1987 in Rumänien) ist freischaffender Autor, Übersetzer, Kritiker und Herausgeber. Für seine Lyrik wurde er u.a. mit dem Wolfgang-Weyrauch-Förderpreis des Literarischen Märzes (2019) ausgezeichnet, für seine Prosa mit dem Deutschlandfunk-Preis des Bachmannwettbewerbs (2022). Er lebt und arbeitet in Berlin.
Ausgewählte Teilnehmer:innen
Miedya Mahmod
Anile Tmava
Salvatore Calanduccia
Katharina Holzmann
Worauf freuen Sie sich als Teil der Vorjury zum 31. open mike mit Blick auf das Wettbewerbswochenende am meisten?
Tatsächlich die Autor*innen mit ihren Texten in real life verknüpfen zu können.
Was hat Sie bei der Lektüre der Manuskripte überrascht?
Einerseits was für eine große Bandbreite an Texten eingereicht wurde, andererseits wie sehr sich dennoch bestimmte Tendenzen im Schreiben abgezeichnet haben.
Welche Kriterien waren Ihnen bei der Auswahl der Texte besonders wichtig?
Eigentlich denke ich, dass es bei guten Texten am wichtigsten ist, dass ein klares Konzept zwischen dem, was erzählt wird, und wie es erzählt wird, erkennbar ist – egal, wie dieses dann aussieht: Auch Chaos kann eine Struktur sein.
Welche Entwicklungen in der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur haben Sie in den letzten Jahren beobachtet? Können Sie – vielleicht auch nach der Lektüre der open mike-Texte – Tendenzen erkennen?
Ja, auf jeden Fall – ich denke, dass sich die deutsche Literaturszene in den letzten zehn Jahren endlich geöffnet hat für diversere Themen, Autor*innen und Sprache, anstatt immer nur um die selben etablierten Autor*innen zu kreisen. Das spiegelt sich auch in den Texten wider, die ich generell in meiner Arbeit und beim open mike lesen darf – vor zehn Jahren war das thematisch und sprachlich einseitiger.
Was möchten Sie den jungen Autor:innen schon jetzt mit auf ihren Weg geben?
Selbstbewusstsein für das eigene Schreiben und Durchhaltevermögen, was die finanziellen Verdienstmöglichkeiten in der Literaturbranche angeht.
Katharina Holzmann leitet die Literaturredaktion für Das Wetter – Magazin für Text und Musik und ist Mitbegründer*in und Verleger*in des Korbinian Verlags. Sie lebt in Berlin und arbeitet als freie Lektorin und Redakteurin für verschiedene Print- und Fernsehformate.
Ausgewählte Teilnehmer:innen
Alexandra-Maria Pipos
Hans Schimmerohn
Simon Schmidt
Dinçer Güçyeter
Worauf freuen Sie sich als Teil der Vorjury zum 31. open mike mit Blick auf das Wettbewerbswochenende am meisten?
Die Texte kennen wir ja, an diesem Wochenende werden wir auch die Bühnenpräsenz erleben, die Gespräche. Die jungen Autorinnen und Autoren werden von ihrer Perspektive aus über ihre Werke sprechen. Das kann schon überraschen, weil wir unsere eigene Lesart haben. Auch die Preisträgerinnen und Preisträger aus früheren Jahren kommen dazu, so wird nach meiner Vorstellung eine vielfältige Energie entstehen.
Was hat Sie bei der Lektüre der Manuskripte überrascht?
Ganz klar: Die Offenheit! Die deutschsprachige Literatur hat sich noch nie so verletzlich gezeigt. Wenn man die Brüche in der heutigen Gesellschaft beobachtet, finde ich das richtig.
Welche Kriterien waren Ihnen bei der Auswahl der Texte besonders wichtig?
Wie immer waren nach meinem Geschmack sehr mutige Texte dabei, einige müssen noch reifen. Und da fängt das Dilemma an. Ich habe mir dir Frage gestellt, ob die ich die Texte, die einen guten Ansatz haben, aber inhaltlich noch nicht das geben, was sie versprechen, freigeben soll oder die präzise durchkomponierten. Man weiß nie, wie sich eine Autorin, ein Autor mit der Zeit entwickelt. Maßgebender war für mich der eigene literarische Dialekt. Bei aller Liebe zu Lektorinnen und Lektoren erlebe ich immer wieder, dass das Eigensinnige in Texten später glattgeschliffen wird. Ich sehe dieses Verfahren als einen Verlust.
Welche Entwicklungen in der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur haben Sie in den letzten Jahren beobachtet? Können Sie – vielleicht auch nach der Lektüre der open mike-Texte – Tendenzen erkennen?
Vor allem gab es sehr kraftvolle Debüts, die schnell den Weg zu ihren Leserinnen und Lesern gefunden haben. Dass Verlage sich auch für neue Namen einsetzen, kann nur als Gewinn gesehen werden. Die aktuelle Politik, das Profil der Gesellschaft rückt deutlich mehr in den Vordergrund. Manchmal aber auch zu viel, so dass der Erzählfluss gestört wird. An erster Stelle sind wir Erzähler, das sollte man nie vergessen. Wenn eine Autorin, ein Autor dauernd den Zeigefinger hebt, geht die Leselust flöten.
Was möchten Sie den jungen Autor:innen schon jetzt mit auf ihren Weg geben?
Sie werden wie alle anderen auch Enttäuschungen erleben müssen. Vieles im Literaturbetrieb ist so gestaltet, dass der Mut, die Lust schnell erwürgt werden. Deshalb immer Widerstand zeigen, wenn man dich vor die Tür stellt, schnell das Fenster suchen. Dabei bitte auch auf die innere Balance achten, nie vergessen, die Literatur ist wichtig, aber eure Gesundheit, die Lebenslust ist wichtiger.
Dinçer Güçyeter, geboren 1979 in Nettetal, ist ein deutscher Theatermacher, Lyriker, Herausgeber und Verleger. Güçyeter wuchs als Sohn eines Kneipiers und einer Angestellten auf. Er machte einen Realschulabschluss an einer Abendschule. Von 1996 bis 2000 absolvierte er eine Ausbildung als Werkzeugmechaniker. Zwischenzeitlich war er als Gastronom tätig. Im Jahr 2012 gründete Güçyeter den ELIF Verlag mit dem Programmschwerpunkt Lyrik. 2017 erschien Aus Glut geschnitzt, und 2021 Mein Prinz, ich bin das Ghetto. 2022 wurde Güçyeter mit dem Peter-Huchel-Preis ausgezeichnet. Er ist Vater von zwei Kindern und lebt in Nettetal. Unser Deutschlandmärchen ist sein erster Roman.
Ausgewählte Teilnehmer:innen
Anna-Sophie Fritz
Nils Nußbaumer
Kathrin Thenhausen
Sophie Priester
Worauf freuen Sie sich als Teil der Vorjury zum 31. open mike mit Blick auf das Wettbewerbswochenende am meisten?
Ich bin sehr neugierig, welche Texte die anderen Vorjuror:innen ausgewählt haben, und freue mich ungemein auf die Lesungen. Darüber hinaus freue ich mich sehr auf das Zusammenkommen im Heimathafen, auf das gemeinsame Nachdenken und den Austausch.
Was hat Sie bei der Lektüre der Manuskripte überrascht?
Wie vielseitig sie waren. Teilweise auch: wie wach, wie mutig. Da schlummert einiges, das werden wir am Wettbewerbswochenende zu spüren bekommen.
Welche Kriterien waren Ihnen bei der Auswahl der Texte besonders wichtig?
Es ist immer wieder spannend, zu welchen erzählerischen Mitteln gegriffen wird. Ein eigener Erzählton, eine überzeugende Vision und ein bewusster Umgang mit Sprache wären Kriterien, die ich nennen könnte. Oft ist es eine Zusammensetzung aus diesen und anderen, vielleicht auch intuitiven Kriterien, die dazu führen, dass ein Text mich beeindruckt oder berührt.
Welche Entwicklungen in der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur haben Sie in den letzten Jahren beobachtet? Können Sie – vielleicht auch nach der Lektüre der open mike-Texte – Tendenzen erkennen
Hinsichtlich der eingereichten Texte würde ich sagen: Auch wenn die Texte sehr unterschiedliche Zugänge zu dem Thema hatten, gab es doch einige, die die Beziehung zwischen Eltern und Kind oder Großeltern und Kind beleuchteten. Auch der Umgang mit mentaler Gesundheit spielte in mehreren Texten eine wichtige Rolle, auch das konnte man in den letzten Jahren beobachten. Die Befragung des Selbst, der eigenen Identität ist auch etwas, was sich in den Einreichungen zeigte.
Was möchten Sie den jungen Autor:innen schon jetzt mit auf ihren Weg geben?
Ich möchte mich bedanken für ihr Schreiben, ihr Schaffen. Vielleicht auch: mutig bleiben, ins Gespräch gehen, weiterschreiben.
Sophie Priester, geboren 1995, studierte Internationale Literaturen und Anglistik/Amerikanistik an der Eberhard Karls Universität Tübingen. Sie absolvierte ein Volontariat im S. Fischer Verlag, arbeitete im Lektorat von Eden Books und ist nun als Lektorin für deutschsprachige Literatur im Suhrkamp Verlag tätig.
Ausgewählte Teilnehmer:innen
Kenan Kokic
Nils Langhans
Vincent Siegel