Pascal Richmann: „Weber“

August 2015. „Bataillone von Buchen“ in „diesem Mitteldeutschland“, einem einzigen „Melkkarussel“. Weber am Steuer, 4.000 Liter Frischmilch im Tank – und zack, Wildunfall, „Balaton aus Milch“, ab zur Nachschulung. Das ist, kurz gefasst, der Einstieg in Pascal Richmanns „Weber“. Die Fahrlererin eine Frau: „Wissen Sie, was wir beim Bund zu Frauen am Schaltknüppel gesagt haben?“ „Herr Weber, bitte“, sagt der Psychiater Dr. med. Fabrizio „Dottore“ Giuliano. Und gleich geht der Text in eine neue Kurve: Der Dottore wollte zu Wendezeiten (ah, aktueller Anlass!) ein Zentrum zur Erforschung und Behandlung von Kraftwagenführungsstörungen gründen. Das Auto für die BRD was der Senf für die DDR bedeutete: „Sinnbild unserer Überzeugungen“, Ausdruck von Wahlfreiheit und Konsumvielfalt? Möglich, aber unklar. Und wegen des drohenden Weckerklingelns nach 15 Minuten Lesezeit muss Richmann diese Passage kürzen. Sein realisto-absurder Text ist bis dahin schon recht länglich. Die Lektorin findet die in eine nahe Zukunft verschobene Story um das einander zugeneigte Trio Weber, Fahrlehrerin Bischof und Giuliano, das zwischen Kleist- und Porschestraße, Red-Petticoat-Diner und irgendeiner Anstalt hin- und herkurvt, „ungewöhnlich witzig und schlau“. Hm. Mir müsste da ein Dottore vom Zentrum zur Erforschung und Behandlung von Literaturgütewahrnehmungsstörungen auf die Sprünge helfen.

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Leseprobe: Pascal Richmann; Weber
10. August 2015

Im Tank befinden sich 4000 Liter Frischmilch. Weber hält die Geschwindigkeit konstant bei 80 km / h. Der Lastwagen liegt schwer auf dem Asphalt der Autobahn, mit seinen rechten Reifen berührt er das Weiß der Fahrbahnmarkierung. Hinter den Leitplanken beginnen sich Bataillone von Buchen anzuschließen, rechteckige Haine, die an ihren Enden eingezäunte Weiden freigeben.
Dieses Mitteldeutschland, denkt Weber, ist ein einziges Melkkarussel. Ein ganzer Landstrich baut auf Milch, baut auf Butter, baut auf Quark.
Er fährt sich mit der Hand durch die Haare, die seit seiner Rückkehr schulterlang geworden sind und die er wachsen lassen will, bis ein neuer Job kommt, etwas Bodenständigeres, Ortsgebundeneres. Mal zur Ruhe kommen, denkt er und schielt in das schmale Waldstück hinein. Späte Strahlen dringen durchs Laub. Weber klappt den Sichtschutz runter, auf dessen Rückseite er Wertcoupons über ein Foto geklemmt hat, das ihn in karger Gegend zeigt, Sand und Geröll und Weber, wie er mit nacktem Oberkörper dasteht, in Stiefeln und grünen Cargos, und sich grinsend ein T-Shirt um den Kopf bindet. Ihm ist es lieber, dieses Foto nicht sehen zu müssen, und doch angenehm, es dabei zu haben. Dieses Scheißwaldstück, denkt er, während sein Blick zwischen Fahrbahn und Grün hin und her wechselt. Alles im Auge haben, denkt er, wie so eine Fliege, wie mit so Facettenaugen. Gottbeschissenes Waldstück, denkt er.

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