Es ist gelesen. Und gekürt. Wie die Jury zu ihrer Entscheidung kam? Das konnten wir im Nachgang den Juror Andreas Maier fragen.
Welchen Anteil hatte das Vorlesen an der Entscheidungsfindung der Jury?
Das kann ich nur für mich sagen: keinen. Ich kann beim Zuhören sowieso nicht so gut folgen. Ich habe immer mitgelesen. Wobei bei Doris Anselm wirklich gerade was durch den Saal lief bei der Lesung, das habe ich schon gemerkt. Aber das ist ja auch gut so und lag am Text.
Hatten Sie die Texte vorher schon gelesen?
Nein, die Texte haben wir erst unmittelbar vor den Lesungen bekommen.
Welche Kriterien haben Sie bei der Auswahl angelegt?
Wir mussten uns einigen, wir waren zu dritt. Über Kriterien ist da kaum zu verhandeln. Mir war gleich am Anfang klar, noch bevor die ersten Namen genannt wurden, daß ich Özlem Özgül Dündar nicht durchkriegen würde, da müßte man eine Grundsatzdiskussion führen über das, was Lyrik heute ist. Mein Hauptkriterium ist, dass mich die Sachen überraschen, dieses aber nicht wollen oder zumindest nicht aufgesetzt tun. Die rundeste Autorin war Mareike Schneider. Ich meine damit nicht Professionalität. Sie hat das, was durch Professionalität nicht erreicht werden könnte. Sie hat einen Stil. Sie sucht nicht mehr. Sie hat einfach gefunden. Sie ist schon völlig da. Das konnte ich für mich schon nach einer Seite sehen, das reicht ja schon. Und deshalb brauchte sie auch keinerlei Spektakel. Allerdings muß das jetzt auch kein Kriterium für eine Preisvergabe sein, denn wer sich gefunden hat, ist auch nicht mehr so beweglich: er weiß schon um das wenige, das er kann (das ist das unveräußerbare Geheimnis des Schreibens). Der Text von Doris Anselm dagegen kam fremd daher und wurde im Verlauf immer begreiflicher und wuchs heran, und am Ende hatte man etwas erlebt, was schon atemberaubend war, aber auch keine bloße Pointe. Eine sukzessive rhetorische Auseinandersetzung mit dem Zuhörer, ein Verlaufstext, der jedes Glied von sich braucht und sich langsam zusammensetzt wie eine Schachpartie. Am Anfang hat wohl keiner begriffen, worum es in dem Text geht und was da auf einen zukommt. Das war virtuos.
Und wie fanden Sie diesen open mike-Jahrgang insgesamt?
Kann ich nicht beurteilen. Dazu fehlt mir ja der Vergleich, ich war nie beim open mike.
Mehr zum open mike im „Bericht eines Jurors“ von Andreas Maier und Marion Poschmann.