Die Texte des open mike 2015: Auszug oder autonom?

Wenn man als debütierender Autor beim open mike nur fünfzehn Minuten Zeit hat, um sich anhand des Gelesenen dem Literaturbetrieb vorzustellen, will der Text gut gewählt sein. Bewirbt man sich mit einem autonomen, in sich geschlossenen Text oder mit einem Auszug eines größeren Werks, der wohl bedacht zugeschnitten sein muss?

Die Mehrheit – elf der fünfzehn Prosalesenden – der diesjährigen open mike-Finalisten entschieden sich für die erste Variante: kurze, autonom stehende Texte.

Besonders deutlich zeigt sich diese Form beispielsweise bei Hilde Drexler, die auf eine Pointe am Ende des Vortrags setzt. Das zuvor im geschilderten Schreibprozess Erdachte wird mit drei Worten verworfen: „ach Scheiß drauf!“. Es ist klar: Der Text ist hier zu Ende.
Auch die Strategie von Theresia Töglhofer und Philip Krömer, die durch die Rahmenstruktur ihrer open mike-Texte den subtilen Eindruck von Geschlossenheit vermitteln, ist strategisch gut gewählt: „Das pure Leben“ ist syntaktisch gerahmt vom „’Nein‘, sage ich“ und erinnert im Binnenteil an den Verlauf der verbrochenen Beziehung zum Du. „der eine der andere“ setzt zum Zwecke der Rahmung auf einen mechanischen Erzähler, der, durch den Einwurf einer Münze ausgelöst, von den Abenteuern H.C. Artmanns berichtet und sie gleichsam kommentierend begleitet, bis die Maschine einfriert und schweigt. Schade nur, wenn die fünfzehn Minuten während des Vortrags dann doch nicht reichen, um den literarischen Rahmen am Ende zu schließen, wie es dieses Jahr Philip Krömer passierte, der wenige Sätze vor dem Schluss seines Textes vom Wecker unterbrochen wurde.

Anders gehen da Anja Braunwieser, Paul Klambauer, Lena Rubey und Hakan Tezkan vor, die mit Auszügen aus längeren Texten zum Wettbewerb antreten.

Während Braunwieser und Tezkan ihre Vortragstexte aus bereits betitelten Romanen ziehen, kann die Form der ‚Muttertexte‘ von „Trou de Loup“ und „Marea alta“ nicht näher bestimmt werden. Wie wirkt die Lesung eines Auszugs beim open mike? Es zeigen sich verschiedene Effekte: während „Pumpgun“ etwas zerpflückt daher kommt – Braunwieser liest Auszüge aus vier (!) Kapiteln – und „Wolf“ durch die neuartige Thematik, die am Ende des Textes mit dem Vorhergegangenen bricht, sehr unvermittelt endet, entlässt „Trou de Loup“ das Publikum voller Neugierde auf den weiteren Verlauf der erzählten Handlung.
Auffällig ist in jedem Fall: Außer Anja Braunwieser entspringen die Auszugs-Urheber aus den Schreibschulen Leipzig und Hildesheim. In dieser Feststellung liegt keine Wertung, vielmehr ein Erklärungsversuch. Finden hier junge Schriftsteller vielleicht die Motivation und die nötige Betreuung, um auch längere Prosaprojekte verfolgen?

Welche Textform – geschlossene Autonomie oder Auszug – für das Wettlesen des open mike besser geeignet ist, kann an dieser Stelle nicht eindeutig beantwortet werden. Vielleicht wissen wir nach der Bekanntgabe der Siegertexte mehr.

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