Der Beitrag der Schweizer Autorin Sabine Gisin ist behutsam. Es gibt keine Exzesse, ja, nicht mal richtig einprägsame Ereignisse. Der Erzählton ist beschaulich, sachlich und genau, der Sprache ist jegliche narrative Lust ausgetrieben worden. Dementsprechend kommt auch dem Leser beziehungsweise Zuhörer schnell die Lust abhanden, mitzugehen. Keine Lust, den Figuren zu folgen, einem namenlosen Mann, einem namenlosen Mädchen, der Großmutter des Mädchens, einem Pianisten, einem Mann, der Bär genannt wird, ein anderer Mann, der JW genannt wird. Wer wo wie was falsch gemacht hat, verstehe ich bald nicht mehr. Dafür, dass der Beitrag so kurz ist, alles sehr konfus.
Die Beschreibungen wollen weder durch bombastisch schiefe Metaphern noch durch innovative Bildbestände beeindrucken. Das Höchste der Gefühle ist der Vergleich, die Enkelin sauge die Worte der Großmutter beim Rumsitzen auf dem Balkon auf „wie durch den Strohhalm die Limonade.“ Die entworfenen Szenerien sind angegraut und ohne jegliche Freude hingesetzt – das mag der Tristesse der Erzählstimmung entsprechen, aber als Methode, um die Leserschaft für sich einzunehmen (und in den Text hineinzuführen) taugt das leider kaum. Es gibt auch keine anderen erzählerischen, motivischen oder sprachlichen Clous, die einen überzeugen, sich intensiv der Geschichte zuzuwenden.
Magere Bäumchen säumten die Fahrbahn und man konnte vereinzelte Menschen sehen, die dicke Hunde an der Leine führten. Köder an der Angel, sagte das Mädchen. Die Hand des Mannes rutschte vom Schenkel und trommelte auf das Lenkrad.
Ausgebreitet wird eine Familiensaga, die sich über drei (oder sogar mehr?) Generationen zieht. Die Schicksale der Frauen aus dieser Familie werden mitunter sehr detailliert erzählt: wie sie von den Männer unterdrückt und verlassen werden, wie sie daran leiden, an den Rand gedrängt worden zu sein, wie die Enkelin, das jüngste und noch hoffnungsvolle Familienmitglied, sich daran versucht, ihre Familie neu zu imaginieren. Beeindruckend ist letztlich die Konsequenz, mit der sich Gisin den weiblichen Biographien und in ihrem Scheitern in einer patriarchalischen Gesellschaft widmet.
Aber es zündet nichts in Du bist dem Fels entsprungen. Der Text bleibt verschlossen und abgestumpft – genauso wie die Stimmung innerhalb der geschilderten Familie sein mag. Seinen Gegenstand erkannt und durchdrungen zu haben, das ist wohl der erste Schritt zu einer gelingenden Erzählung. Ihn dann mitteilbar zu machen wäre der zweite Schritt gewesen, den die Erzählung von Gisin jedoch leider nicht einzulösen weiß.
Ein Gedanke zu “Sabine Gisin: „Du bist dem Fels entsprungen“”
die vielen negativen kritiken, die man hier lesen kann, sprechen für sich. aber ich kann mich dem nur anschließen, bei diesen texten ist wohl nur wenig gutes bei. meiner meinung nach war das aber nicht anders zu erwarten, nachdem man im vergangenen jahr nur den einheitsbrei prämiert hat und nicht die, die wirklich was zu sagen hatten wie Eckhardt Waldstein, Tobi Lewkowitz oder die wilpert, da hat man schlichtweg signalisiert: literatur braucht keine kritik und keine innovation. so wie es im augenblick auf der welt dahergeht, fast gefährlich naiv…. aber mal sehen, was uns heute so erwartet, ich bleibe gespannt!