Chabos wissen, was der open mike ist?

Seit rund zwei Jahren geistert eine skurrile Debatte durch die deutschsprachigen Medien: Läuft der (Gangster-)Rap der Literatur den Rang ab? Diese merkwürdige Frage hält sich so hartnäckig am Leben, dass Jacob Teich im Suhrkamp Logbuch sich zu einem Vergleich zwischen open mike und Rap-Battle gemüßigt fühlte. Zeit für eine Entgegnung:

Der Zustand unseres Literaturbetriebs wird zunehmend trüber: Es wird schwieriger, mit Büchern Umsatz zu erzielen, und demensprechend schrumpft das Werbe- und PR-Budget. Ihnen zur Seite stehen Zeitungen, die unter einer ähnlichen Misere leiden. Wenn man davon ausgeht, dass Aufmerksamkeit nicht einfach entsteht, sondern geschaffen werden muss, dann hat der Literaturbetrieb ein Aufmerksamkeitsproblem. Eine Antwort, welche die Branche dafür gefunden hat, sind die Hildesheimer und Leipziger Schriftstellerschmieden. In einer Situation, in der es gerade Debütanten immer schwerer fällt, einen Verlag zu finden, braucht es solche Durchlauferhitzer, die das Scheinwerferlicht auf die richtigen Personen richtet. Doch dieses Modell ruft zunehmend Misstrauen hervor: zum Schriftsteller ausgebildet werden? Das klingt nach einer Mischung aus Volkshochschule und Beamtentum.

Die Gegnerschaft dieser verpönten Institutsschriftsteller hat eine ungewöhnliche Koalition hervorgebracht: Das Hochfeuilleton und Haftbefehl. Welche Vorstellung hinter dieser Verbindung steckt, hat Daniel Haas in der ZEIT schon 2014 formuliert: „Was an Haftbefehl fasziniert und verstört, das ist sein Talent. Die sprachliche Verwegenheit lässt sich nicht in Literaturinstituten züchten.“ Sprachliche Verwegenheit als Distinktionsmerkmal des Gangster-Rap: Scheinbar soll durch die Hintertür die Kategorie der Authentizität wieder eingeführt werden, die einstmals in der Postmoderne in Verruf geriet. Rohe Sprachgewalt, so die These, lässt sich vor allem dort erlernen, wo sie wirksam wird: auf den Straßen der sozialen Brennpunkte. Dagegen müssen die Institutsschriftsteller natürlich wie friedliche Klosterschüler wirken.

Was das Ganze mit dem open mike zu tun hat? Natürlich kann man beobachten, dass die Teilnehmer zu einem bedeutenden Teil aus den Hildesheimer und Leipziger Kreisen rekrutiert werden. Man kann das kritisch sehen. Schließlich ergibt sich die berechtigte Frage, ob solch institutionalisierte Schreibschulen nicht dazu neigen, die immer gleichen Charaktere zu reproduzieren. Ein Blick in die diesjährigen Texte würde einen solchen Eindruck jedoch – zumindest teilweise – widerlegen. Doch viel wichtiger erscheint es die Kategorien wieder richtig einzustellen.

Was hat das Feuilleton davon, sich in dieser Weise an den Rap ranzuschmeißen? Erstens haben die Beobachter einen provokativen Weg gefunden, ihr diffuses Unbehagen gegenüber den Literaturinstituten auszudrücken, das sich in weiten Teilen aus einem verklärten Blick auf das Schriftstellerideal des 20. Jahrhunderts speist. Dass man sprachlich von Haftbefehl und Co. überholt wurde, hört im Literaturbetrieb natürlich keiner gerne. Zweitens versucht das Feuilleton seinen eigenen Relevanzverlust mit der Hinwendung zum Rap aufzufangen. Dagegen spricht erst mal nichts, würden es die Feuilletonkritiker nicht mit einem schrägen Vergleich zwischen Hip-Hop und Literatur forcieren. Zumal die Leute, die nun Haftbefehl zum neuen Großschriftsteller erheben, vermutlich selbst wenig Ahnung von dessen Welt haben. Das Ergebnis ist eine zweifelhafte Romantisierung der Straße, bei der der eine oder andere Redakteur hofft, etwas Swag würde auf ihn zurückfallen, würden er sich nur laut genug mit ihr solidarisieren.

Die banale Feststellung bleibt: Rap und Literatur sind zwei unterschiedliche Spielarten der sprachlichen Äußerung. Auf den Schluss, die Literatur – und damit auch die open mike-Debütanten – haben sich auf ein Wettrennen mit Haftbefehl einzulassen, kommt wohl nur der, der Relevanz in Youtube-Klicks und Wikipedia-Einträgen misst. In diesem Sinne müsste aber auch der Film auf Katzenvideos reagieren. Man kann den jungen Literaten keinen Vorwurf daraus machen, dass ihre eigene Lebenswelt nicht den Offenbacher Brennpunkten entspricht. Das heißt ja nicht, dass sie nicht eine ebenso relevante Sprache dafür finden können, ihre Wirklichkeit in der Literatur darzustellen. Deswegen: Lassen wir doch die jungen Schriftsteller mit Haftbefehl in Ruhe und sind etwas selbstbewusster. Er kann sich ja gerne nächstes Jahr dem Wettbewerb im Heimathafen stellen.

 

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